Jens Schröter (zusammen mit Stefan Meretz, Hanno Pahl, Manuel Scholz-Wäckerle): “Die Gesellschaft nach dem Geld. Eröffnung eines Dialogs”, VW-Stiftung
Alles dreht sich ums Geld. Keine irgendwie geartete individuelle oder kollektive Praxis, keine technologische oder wissenschaftliche Entwicklung scheint ohne Geld denkbar zu sein. Seit langer Zeit wird Geld aber auch kritisiert, doch der Gedanke an eine ‚Gesellschaft nach dem Geld‘ löst Widerstand und Befremden aus, er widerspricht ‚gemeinhin akzeptierten Intuitionen‘ (Exposé VW-Stiftung: ‚Originalitätsverdacht?’). Dabei zeigen historische Studien (z.B. Jacques LeGoff, Geld im Mittelalter), dass Geld keineswegs immer die Rolle hatte, die es heute hat.
In dem anvisierten Projekt sollen erstens heterogene Wissensbereiche in einen Dialog treten und ihre Theorien und Kritiken des Geldes wechselseitig beleuchten. Dabei soll zweitens ergebnisoffen über die Möglichkeit post-monetärer Organisations- und Produktionsformen nachgedacht werden. Doch warum ist das überhaupt relevant?
In der Gegenwart überlagern sich zwei Selbstbeschreibungen. Einerseits ist nach wie vor die Rede von ‚digitaler Revolution‘, ‚Mediengesellschaft‘, ‚Netzwerken‘, ‚Industrie 4.0‘. Andererseits wird die Gegenwart als ausgesprochen krisenhaft beschrieben: ‚Finanzkrise‘, ‚Wirtschaftskrise‘, ‚Planetare Grenzen‘. Es gibt also einerseits die Beschreibung eines technisch-medialen Umbruchs und andererseits jene von tiefgreifenden gesellschaftlichen Störungen.
Dem Projekt liegt die Vermutung zugrunde, dass es einen Zusammenhang gibt, der sich als die Kollision der digitalen Medien bzw. digitalen Technologien mit dem Medium Geld beschreiben lässt. In zwei Hinsichten wird dies deutlich:
Erstens scheinen die digitalen Medienprodukte kaum in der Warenform darstellbar zu sein. Digitale Güter sind im Prinzip beliebig reproduzierbar und somit nicht knapp (Jeremy Rifkin, Null-Grenzkosten-Gesellschaft). Eine auf Geld basierte Wissens- oder Informationsgesellschaft ist ein Widerspruch in sich.
Zweitens wird immer dringlicher die Frage diskutiert, ob die universell programmierbaren, und daher vielseitig einsetzbaren, digitalen Technologien nicht in allen Sektoren so viel Arbeit überflüssig machen, dass die gesellschaftliche Reproduktion über Lohnarbeit, d.h. Arbeit im Tausch gegen Geld, problematisch wird. Dieser Gedanke taucht in: Race against the Machine u.a. von Erik Brynjolffson, Director des MIT Center for Digital Business, in „The Future of Employment“ von Osborne und Frey von 2013 oder in den Publikationen Martin Fords (The Lights in the Tunnel, The Rise of the Robots) auf. In krisentheoretischen Szenarien wird ein Zusammenhang zu den ‚Finanzkrisen‘ explizit hergestellt, die vielmehr als tiefe Strukturkrisen erscheinen (vgl. Ernst Lohoff/Norbert Trenke, Die große Entwertung).
Nach der Krise 2008 breitete sich ein unbestimmtes Unbehagen über ‚das Finanzsystem‘ aus. Die Selbstverständlichkeit der monetären Organisation erscheint als zunehmend brüchig – sofern die Krise nicht verschwörungstheoretisch auf ‚gierige Spekulanten‘ zurückgeführt wird. Allerdings wurde in vielerlei Hinsicht einfach so weitergemacht wie zuvor, ohne dass eine grundlegende Diskussion überhaupt begann (Philipp Mirowski, Never Let a Serious Crisis go to Waste).
Daher ist es notwendig, ergebnisoffen über Organisations- und Produktionsformen zu diskutieren, die das Geld nicht mehr als (zentrales) Medium verwenden, die Koordinationsleistungen auf andere Weise lösen – z.B. über neue Einsatzformen digitaler Technologien (Jeremy Rifkin, Access). Denn die enormen Mengen an Informationen, die durch digitale Medien heute akkumuliert werden können (‚Big Data’), könnten, statt bloß für Werbung, auch für Organisationsprozesse verwendet werden, ebenso wie die Formen der vernetzten Kommunikation und die damit gegebenen direkten Koordinationspotentiale. Über derartige Organisationsformen wird nachgedacht und es werden praktische Erfahrungen gesammelt (peer-to-peer-production, Oekonux, Commons).
In dem Projekt werden verschiedene Felder in ein kontroverses Gespräch gebracht:
- Medientheorie: Medientheoretische Ansätze bestreiten die Annahme, Medien seien ‚neutrale‘ Werkzeuge vorausgesetzter Zwecke. Vielmehr haben sie eigene Spezifika, Skripte, Dynamiken, die menschliche Zwecke mit hervorbringen und transformieren. Aus dieser Sicht ist auch Geld kein neutrales Werkzeug, das den Tausch erleichtert, sondern ein eigendynamisches Medium, das Menschen bestimmte Handlungsweisen und soziale Formen erst eröffnet und aufnötigt. Zugleich werden in der Medientheorie die Spezifika, Skripte, Dynamiken digitaler Medien erörtert – und mithin deren Interaktion mit jenen des Geldes diskutierbar. Doch die medientheoretische Diskussion muss ihre Ansätze zum Geld mit jenen der Soziologie und insbesondere (was noch nie geschehen ist) der Ökonomik und der Commons-Debatte in Dialog setzen, um zu einem umfassenderen Modell zu gelangen.
- Wirtschaftssoziologie: Die Wirtschaftssoziologie versteht sich als Alternative zur neoklassisch geprägten Mainstream-Ökonomik. Wie die Medientheorie erblickt auch die Soziologie im Geld mehr als einen bloßen Schleier. Hinterfragt wird ebenfalls ein Denken in Gleichgewichten, wobei insbesondere die von der neoklassischen Ökonomik offerierten Synthesefiguren (etwa der Walrasianische Auktionator) durch realistischere Blickwinkel ersetzt werden. Daraus folgt: Zum einen wird ausgeleuchtet, wie Geld als Katalysator sozialer Formbildungsprozesse wirkt und auf diesem Wege Dynamik und Krisenhaftigkeit generiert. Zum anderen wird aber auch auf die Heterogenität der Geldmedien sowie auf die „Indexikalität“ der Geldverwendung abgestellt: Geld fungiert nicht nur als ein gesellschaftlicher Automatismus, sondern wird auch personalisiert, mit Sinn aufgeladen sowie subvertiert. Gerade das Spannungsfeld dieser beiden Linien bietet eine gute Ausgangslage, Aspekte postmonetärer Vergesellschaftung zu erforschen.
- Evolutions- und Komplexitätsökonomik: Sie versucht die Kluft zwischen Mikro- und Makroökonomik aufzubrechen. Sie verbindet und synthetisiert unter anderem Ansätze der klassischen politischen Ökonomie, der Innovationsökonomie, der Institutionenökonomie mit Erkenntnissen aus der Evolutionstheorie und der Wissenschaft komplexer adaptiver Systeme. Insofern ist sie explizit an einer transdisziplinären Analyse gesellschaftlicher Transformation interessiert und daher generell sehr gut geeignet für das hier angestrebte Projekt. Im Spezifischen hat sie keine eigene Theorie des Geldes entwickelt, verneint jedoch die Quantitätstheorie des Geldes und bejaht die endogene Theorie der Geldnachfrage. Zentral ist die Endogenisierung von Institutionen, wie z.B. auch der vielseitigen (nicht)kodifizierten Institutionen des Geldes. Die Vergesellschaftung der Institutionen des Geldes (Karl Polanyi) spielt hier eine wichtige Rolle. Diesbezüglich ist die Evolution von Kreditgeld, in Abhängigkeit des kulturellen und technologischen Wandels, als soziales Buchhaltungssystem wahrscheinlich eines der Schlüsselthemen für die zentrale Forschungsfrage des Projektes. Die Erforschung dieser Frage ist unterrepräsentiert und würde daher einen großen Beitrag für die Weiterentwicklung der Disziplin leisten.
- Commons-Debatte: Mit der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an Elinor Ostrom sind die Commons schlagartig ins Rampenlicht auch des akademischen Interesses gerückt. Während sich traditionelle Commons auf natürliche Ressourcen beziehen und schon seit Jahrhunderten in marginaler Form neben Marktsystemen existieren, expandieren die neuen Commons und dringen in alle Bereiche materieller, sozialer und kultureller Produktion vor. Ein beginnender, aber bisher unterthematisierter Forschungsstrang analysiert die Commons als neue Elementarform gesellschaftlicher Produktion, die neue Vermittlungsformen jenseits des Geldes ausbildet. Macht man sich klar, dass nach Ergebnissen von Destatis fast zwei Drittel der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten unbezahlt erbracht werden, ist dieser Trend nicht verwunderlich. Neu ist hingegen, dass Kernbereiche der Warenproduktion affiziert werden: Möbel, Kleidung, Autos, Elektronik, Hardware generell. Noch sind solche Phänomene nur in Nischenbereichen beobachtbar. Doch erstens expandieren diese in großer Geschwindigkeit und zweitens wird ihre Bedeutung klar, sollten traditionelle gesellschaftliche Vermittlungssysteme, die über das Geld organisiert sind, kollabieren. Hier ist vorausdenkende, „ver-rückende“ Forschung erforderlich, um das Allgemeine und die Potenziale dieser Trends wissenschaftlich auf den Begriff zu bringen.